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(English version below)

Unser Leben ist gespalten. Noch vor zwei Monaten führten wir ein geregeltes Leben, hatten Pläne, Träume, einen vertrauten Blick aus dem Fenster, eilten am Morgen zur Arbeit, brachten unsere Kinder in den Kindergarten oder in die Schule, machten Einkäufe, ohne uns dabei bewusst zu sein, wie glücklich wir eigentlich waren. Wir rechneten nicht damit, dass an einem Morgen im Februar alles auf einmal endet. Wir erwachten und der gestrige Alltag ist plötzlich für immer verschwunden.

Der Krieg hat von heute auf morgen unser Leben zur Hölle gemacht. Ein anderes Geschehen ist auf einmal alltäglich: Luftalarm, Nachrichten aus dem Osten, Norden, Süden, wo Dutzende Menschen als Opfer der russischen Aggression gefallen sind. Thschernihiv, Kharkiw, Mariupol, Wolnovaha sind völlig zerstört, Sumy, Kyiyv, Mykolaiv und große Städte im Westen wie Lwiw, Ternopil, Uzhorod, Luzk und Rivne werden regelmäßig von Raketen getroffen. Cherson, Melitopol und andere kleinere Städte und Dörfer sind okkupiert. Die Nachrichten aus Butscha, Irpin und Hostomil haben die ganze Welt entsetzt, aber vor allem uns Ukrainer, die wir in Gefahr sind, erschossen, bis zum Tode gequält, vergewaltigt oder im eigenen Haus zerbombt zu werden. Viele haben ihr Zuhause verlassen und diejenigen, denen es gelungen ist, sind heute Flüchtlinge. Wir auch.

So brachte auch ich meine Familie nach Sonnenberg, nachdem ich gelesen hatte, dass das Internationale Haus Sonnenberg Flüchtlinge aus der Ukraine aufnimmt. Seit ein paar Jahren arbeitet die Universität, an der ich Deutsch unterrichte, mit dem IHS zusammen. Deshalb war ich von Anfang an davon überzeugt, dass wir hier nicht nur Unterkunft finden, sondern auch nette Leute. Und heute kann ich sagen, dass die Realität alle Hoffnungen übertroffen hat. Hier fühlt sich jeder von uns wohl. Ja, wir folgen den Nachrichten in der Ukraine, machen uns Sorgen wegen unserer Verwandten, die in der Ukraine geblieben sind, aber im IHS sind wir zu nun erstmal zuhause.

Aktuell leben im Internationalen Haus Sonnenberg 14 Flüchtlinge aus der Ukraine. Das sind 9 Erwachsene und 5 Kinder: 2,5; 12, 13, 14 und 16 Jahre alt; vier Familien, zwei davon kommen aus Kryvyi Rih (liegt im Zentrum der Ukraine) und eine Familie aus Butscha, einer Stadt, die heute in der ganzen Welt als der erste Ort der Massenmorde im Kyiver Gebiet bekannt ist. Alle Flüchtlinge, die heute auf dem  Sonnenberg leben, haben sich nicht sofort entschieden, ihre Familien, ihre gemütlichen Häuser und Wohnungen zu verlassen. Nataliia hat 11 Tage Okkupation in Butscha erlebt und sich erst dann entschlossen die Stadt zu verlassen, weil das Leben ihrer Familie in Gefahr war. Die Flüchtlinge aus Kryvyi Rih glaubten und glauben auch nicht, dass die Stadt von russischen Truppen besetzt wird, aber sicher ist sicher, besonders wenn es um die Leben der Kinder geht. Eines der Kinder ist ein kleines Mädchen, das kaum versteht, warum es so weit von seinem Vater sein muss, an dem es hängt. Das kleine Kind hat ansonsten hier aber alles, was es braucht und was sich ein Kind wünschen kann: ein Kinderbettchen, viele Spielzeuge, frische Luft und – das Wichtigste – keine Sirenen Tag und Nacht, keine Gefahr, die vom Himmel kommt.

Das Leben im Internationalen Haus Sonnenberg ist gut organisiert. Die Tagesordnung ist für alle gleich, aber mit manchen Modifikationen, weil jede(r) ihren (seinen) Interessen nachgehen will. Die Kinder gehen jeden Tag frühmorgens in die deutsche Schule. An den ersten Tagen war es ein bisschen schwer, weil sie mit dem Lernen ohne jegliche Deutschkenntnisse begonnen haben. Aber damit haben sie ihre ersten Schritte im Deutschen gemacht und fühlen sich nun schon viel sicherer unter den deutschen Schülern. Die Kinder wurden sehr gut von der Schulleitung und den Schülerinnen und Schülern aufgenommen und gehen gerne in die Schule, wo sie jetzt neue Freunde haben. Gerade haben die Kinder Ferien und besuchen Deutschkurse in Goslar, was ihnen erlaubt, angeworbene Fertigkeiten und Kenntnisse zu festigen. Deutschunterricht haben auch die erwachsenen Bewohner des Hauses F im Internationalen Haus Sonnenberg. Jeden Tag nach dem Frühstück üben sie Deutsch. Dafür haben wir alle möglichen Voraussetzungen hier (einen perfekten Raum, technische Ausstattung, alles, was man für modernen Unterricht braucht) und den Wunsch, Deutsch zu beherrschen.

Am Nachmittag hat man auch viel zu tun. Die Kinder haben Online-Unterricht an ukrainischen Schulen und müssen ihre Hausaufgaben machen. In den Corona-Pandemie-Jahren haben die Lehranstalten in der Ukraine gute Erfahrungen mit dem Online-Unterricht gemacht und heute, da ein Teil des Landes von Russland angegriffen oder okkupiert ist, benutzen alle Schulen und Universitäten dieses Format für die Fortsetzung der Lehrprozesse. Ist der Krieg erst einmal zu Ende, dann braucht das Land erst recht gut ausgebildete Menschen. Ein Paradebeispiel ist die Staatliche Universität Mariupol, die jetzt versucht auf diese Weise den wegen der Besatzung unterbrochenen Unterricht wieder regelmäßig durchzuführen. Leider können diejenigen, die die Stadt nicht verlassen haben, am Lernprozess nicht teilnehmen, aber die Evakuierten, die jetzt in sicheren Gebieten leben, kommen rechtzeitig zum Unterricht und sind sicher, dass sie am Ende entweder Abitur oder Diplom machen, Prüfungen ablegen (in Präsenz oder online) und/oder am 1. September das neue Studienjahr beginnen.

Drei Bewohner des IHS sind Lehrkräfte. Das bedeutet, dass sie damit fortfahren, Unterricht zu erteilen: Malstunden für Kinder und Erwachsene (Karina), Geschichte (Nataliia), Deutsche Literaturgeschichte und Stilistik (Vita). Ihre Lerner befinden sich jetzt in unterschiedlichen Ländern und an unterschiedlichen Orten. Sie kommen aber rechtzeitig zum Online-Unterricht, der per Videokonferenz von hier aus durchgeführt wird.

Im IHS haben wir alles, was wir im Moment für unser Leben brauchen. Wir haben alles für die Bedarfe des täglichen Lebens, Lebensmittel und können gemeinsam mit den anderen Gästen an den Mahlzeiten teilnehmen. Wir bewohnen ein eigenes Haus und uns stehen drei Kühlschränke, eine Waschmaschine, ein Trockner, ein Geschirrspüler, eine Mikrowelle, ein Elektroherd und andere Technik zu unserer eigenen Verfügung, die das Leben leichter machen.

Wir bedanken uns bei Deutschland, dessen Regierung und noch mehr bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Internationalen Haus Sonnenberg sowie bei allen MENSCHEN, die uns helfen und sich um uns kümmern, für ihr Verständnis und ihre Unterstützung. Das ist sehr wichtig für uns.

Prof. Dr. Vita Hamanyuk
Staatliche Paedagogische Universitaet Kryvyi Rih
Fachbereich Deutsche Literatur, Sprachwissenschaft, Didaktik DaF und DaZ

Zurzeit: Internationales Haus Sonnenberg, St. Andreasberg

 

English version

Our life is divided. Just two months ago we lived an orderly life, had plans, dreams, a familiar look out of the window, rushed to work in the morning, took our children to kindergarten or school, went shopping without realizing how happy we actually were. We didn’t expect it to end all at once on one morning in February. We woke up and yesterday’s everyday life suddenly disappeared forever.

The war turned our lives into hell overnight. Another occurrence is suddenly commonplace: air raid alarm, news from the east, north, south, where dozens of people have died as victims of the Russian aggression. Chernihiv, Kharkiv, Mariupol, Volnovaha are completely destroyed, Sumy, Kyiyv, Mykolaiv and large western cities like Lviv, Ternopil, Uzhorod, Lutsk and Rivne are regularly hit by rockets. Cherson, Melitopol and other smaller towns and villages are occupied. The news from Bucha, Irpin and Hostomil shocked the whole world, but especially us Ukrainians, who are in danger of being shot, tortured to death, raped or bombed in our own homes. Many left their homes and those who did are now refugees. We also.

So I brought my family to Sonnenberg after I read that the International House Sonnenberg takes in refugees from the Ukraine. The university where I teach German has been working with the IHS for a few years. That’s why I was convinced from the beginning that we would not only find accommodation here, but also nice people. And today I can say that reality has surpassed all hopes. Each of us feels at home here. Yes, we follow the news in Ukraine, we are worried about our relatives who stayed in Ukraine, but we are at home at IHS for now.

There are currently 14 refugees from Ukraine living in the International House in Sonnenberg. That’s 9 adults and 5 children: 2.5; 12, 13, 14 and 16 years old; four families, two of them come from Kryvyi Rih (located in the center of Ukraine) and one family from Bucha, a city that is now known throughout the world as the first place of mass murders in Kyiv region. All the refugees who live on the Sonnenberg today did not immediately decide to leave their families, their comfortable houses and apartments. Nataliia experienced 11 days of occupation in Bucha and only then decided to leave the city because her family’s life was in danger. The refugees from Kryvyi Rih do not and do not believe that the city will be occupied by Russian troops, but it is safe to say, especially when it comes to children’s lives. One of the children is a little girl who hardly understands why she has to be so far from the father she is attached to. Apart from that, small children have everything they need and could wish for here: a cot, lots of toys, fresh air and – most importantly – no sirens day and night, no danger coming from the sky.

Life in the International House Sonnenberg is well organized. The agenda is the same for everyone, but with some modifications because everyone wants to pursue their (his) interests. The children go to the German school early in the morning every day. It was a bit difficult the first few days because they started learning without any knowledge of German. But with that they have taken their first steps in German and now feel much more secure among the German students. The children were very well received by the school management and the students and enjoy going to school, where they now have new friends. The children are currently on vacation and are attending German courses in Goslar, which allows them to consolidate the skills and knowledge they have acquired. The adult residents of House F in the International House Sonnenberg also have German lessons. Every day after breakfast they practice German. We have all the possible prerequisites for this here (a perfect room, technical equipment, everything you need for modern teaching) and the desire to master German.

There is also a lot to do in the afternoon. The children have online lessons at Ukrainian schools and have to do their homework. During the Corona pandemic years, educational institutions in Ukraine had good experiences with online teaching and today, when part of the country is attacked or occupied by Russia, all schools and universities use this format to continue teaching processes. Once the war is over, the country will need well-trained people even more. A prime example is the Mariupol State University, which is now attempting to resume regular classes that were interrupted because of the occupation. Unfortunately, those who have not left the city cannot participate in the learning process, but the evacuees, who now live in safe areas, come to class on time and are sure that in the end they will either get their high school diploma, take exams (in attendance or online) and/or start the new academic year on September 1st.

Three residents of the IHS are teachers. This means that they continue to teach: painting lessons for children and adults (Karina), history (Nataliia), German literary history and stylistics (Vita). Your learners are now in different countries and locations. But you will arrive in time for the online lessons, which will be held from here via video conference.

At the IHS we have everything we need for our lives at the moment. We have everything for the necessities of daily life, groceries and we can share meals with the other guests. We live in our own house and we have at our disposal three refrigerators, a washing machine, a dryer, a dishwasher, a microwave, an electric stove and other technology that makes life easier.

We would like to thank Germany, its government and even more so the staff of the International House Sonnenberg and all the PEOPLE who help us and take care of us for their understanding and support. This is very important for us.

Prof. Dr. Vita Hamanyuk
Kryvyi Rih State Pedagogical University
Department of German Literature, Linguistics, Didactics DaF and DaZ

Currently: International House Sonnenberg, St. Andreasberg